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CHURCH OF FEAR'S »3. Internationaler Pfahlsitzwettbewerb«
Tag 4: Kollisionsverhandlungen in rasendem Stillstand

Zu Gast: Gregor Gysi, Jürgen Tarrach und Alexander Kluge

Mit indischen Klängen eröffnete Gemeinde-mitglied Christoph Schlingensief am Donnerstagmorgen um 9.00 Uhr den vierten Tag des DRITTEN INTERNATIONALEN PFAHL-SITZWETTBEWERBES an der Frankfurter Hauptwache.

"Ab 10.00 Uhr erhalten Sie hier am COF-Stand Eintrittskarten für die Bayreuther Festspiele", versuchte Schlingensief die noch müden Passanten auf Trab zu bringen. Eine für 12.00 Uhr angekündigte Rede Gregor Gysis, Rechtsanwalt und ehemaliger Politiker, wurde kurzfristig auf 10.30 Uhr vorverlegt. Gysi, auf Durchreise zu Wahlkampfauftritten in Bayern, erübrigte 10 Minuten seiner Zeit für einen Kurzbeitrag zum Thema "Die neue Angst - Was kommt nach den faschistischen und kommunistischen Gespenstern?" Vor gut 300 Zuhörern entwarf der redegewandte Autor ein das Bild eines "neuen, ideologiefreien Gesellschaftssystems". Schlingensief schlug die Gründung eines "Ministeriums der Angst" vor, das sich ohne politische Umschweife zu seinen Funktionen bekenne. "Ministerien für Angst haben wir wirklich schon genug, nur nennen die sich anders, um ihren wahren Zweck zu verbergen."

COF an Kopf: Kurz vor dem Eklat an der Hauptwache versuchte COF-Präsidentin Eva Zander noch, die erhitzten Gemüter mit Sachlichkeit zu besänftigen.


Klaus Thönes auf Pfahl Nr.6 verlas in das Gespräch Schlingensief - Gysi hinein eine Parabel mit dem Titel "Mut der Verzweiflung", das er erst im Verlauf des Pfahlsitzens geschrieben hatte. Unter dem Beifall seiner Zuhörer tackerten COF-Mitarbeiter die handschriftliche Notiz an seinen Pfahl:

Angst gebiert den Mut der Verzweiflung.

Darum
Sitze ich:
Es macht mir Angst,
älter,
schwächer,
ärmer
zu werden in einer
sich barbarisierenden Gesellschaft.

Ich habe Angst um die Gegenwart
und Zukunft
Unserer Kinder.
Angst vor der gewissenlosen Abgebrühtheit der Mächtigen,
wo die einen Vermögen für sich und die
anderen Schulden für alle machen,
dabei biologische, materielle und immatierielle
Lebensgrundlagen zerstören.

Auf dem Pfahl Nr.6
Die Angst, in´s
Bodenlose zu fallen.

18/09/03
Klaus Thönes.

Enttäuschte Wettbewerbsbesucher, die sich zum offiziellen Termin der Gysi-Rede an der Hauptwache eingefunden hatten, wurden durch einen Aufmarsch von sieben uniformierten Mitarbeitern des Ordnungsamtes Frankfurt entschädigt. Sie forderten die Veranstalter auf dafür zu sorgen, daß innerhalb eines Projekts nicht Musiken und Texte aus unterschiedlichen Religionen über Mikrofon verlesen werden: "Es hat Anzeigen gegeben, denen wir nachgehen müssen", sagte der zuständige Einsatzleiter M.Loosen. "Durch die inakzeptable Verquickung religiöser Inhalte fühlen sich Frankfurter Bürger irritiert und belästigt", fügte er in Amtsdeutsch hinzu. Über rechtliche Bedenken hinaus erregte sich Oberstaatsanwalt a.D. Dietrich Kuhlbrodt am heftigsten über die Anordnung: "Das ist eine offene Kriegserklärung an die CHURCH OF FEAR. Intolerante Angstverwalter schlagen zurück und sabotieren die COF-Basisarbeit." Björn Saragosa schloß sich von Pfahl Nr.4 herab an: "Wehret den Anfängen!" Er erhielt Applaus von Bänkern genauso wie von den Punks. Ein Frankfurter Börsenmakler schenkte dem zweifachen Vater und Sozialhilfeempfänger dann sogar seine seidene Krawatte.


 

 
Thomas Herpich, Pfahl Nr.7, nutzte die beschauliche Sommeratmosphäre und ließ sich von seiner Lebenspartnerin Marion den Nacken massieren. Die Leiter, auf die sie sich setzte, wurde bald darauf aber schon von einem Punk der Gemeinde an Pfahl Nr.4 beansprucht, die ihrem Säulenheiligen Björn Wasser und Zigaretten anreichen wollten. Um 14.00 Uhr eine Ansprache Schlingensiefs, verbunden mit der Aufforderung, noch bis zum Freitagabend "Arbeits-Lose" zu kaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren bereits überschlagene 3000 Lose verkauft worden.
"Pfahlsitzen sollte Pflichtfach an deutschen Schulen werden", kam Harald Rey vom Pfahl Nr.1 herab mit einem Passanten ins Gespräch. Dieser kam wenig später nochmals an den Pfahl des Berliner Musikers zurück, um ihm Cola und Marzipankartoffeln zu überlassen. Nach anfänglichen Unregelmäßigkeiten hat sich Susie Renée Reinhardt auf Pfahl Nr.5 die Nutzung ihrer 15-minütigen Pausen zur Pflicht gemacht: "Es geht jetzt doch an die Substanz." "Ich habe selten so viel erlebt und Leute kennengelernt wie hier", sagte Hans-Jürgen Kuprasch, Pfahl Nr.3, auf Anfrage eines Redakteurs der 3sat-Kulturzeit, "dabei habe ich mich seit Montag kaum von der Stelle bewegt. Das ist wie Rasen auf der Stelle." Nina Krämer auf Pfahl Nr.2 bat den Betreuerstab um Sonnencreme.
Annemarie Rox, ehemalige Beuys-Schülerin, meldete sich am Rednerpult und trug ein Gedicht vor, das sie zu Ehren der 7 Pfahlsitzer verfaßt hatte. Vom animierenden Schlingensief und ansteigendem Applaus der Zuschauer ermutigt, trug sie es selbst vor:

Die Pfalsitzer/innen:
Die Glorreichen Sieben der COF

Wir 7 waren bisher ganz unten
und die da oben haben uns geschunden,
die Church of Fear hat uns gefunden!

Jetzt sitzen endlich WIR ganz oben,
wir wollen keine Götter loben,
wir lassen unsere Ängste toben!

Die Angst erhält uns frisch und munter,
von Pfählen steigen wir Samstag runter,
doch mit der Furcht kriegt ihr uns nicht mehr unter.



 
Das Original ihrer Niederschrift ließ Frau Rox anschließend von den so Geehrten unterschreiben und stellte es bis Samstag zugunsten der Pfahlsitzer zur Verlosung. Klaus Thönes, Pfahl Nr.6, regte eine gemeinsame Publikation an. Björn Saragosa von Pfahl Nr.4 nutzte seine 15-minütige Pause zu Trockenübungen an seiner E-Gitarre. Wie schon am Vortag folgte um 16.00 Uhr die offizielle Begrüßung neuer COF-Gemeinden im 2. Prototypen der ANGSTKIRCHE. Anders als noch am Mittwoch waren es diesmal 14 Gemeinden, die innerhalb einer Feierstunde gegründet und durch COF-Präsidentin Eva Zander in die Gemeinschaft der CHURCH OF FEAR aufgenommen wurden:
COF-Gemeinde Frankfurt-Nordend, COF-Gemeinde Schriesheim, COF-Gemeinde Linz/Österreich, COF-Gemeinde Mainz-Lerchenberg, COF-Gemeinde Emmerich, COF-Gemeinde Hanau, COF-Gemeinde Mülheim a.d.Ruhr, COF-Gemeinde Kaiserslautern, COF-Gemeinde Kiel, COF-Gemeinde Neustadt/Weinstraße, COF-Gemeinde Dietz, COF-Gemeinde Marburg, COF-Gemeinde Rüsselsheim, COF-Gemeinde Karolinensiel.
Am frühen Abend ein Vortrag des COF-Gemeindemitglieds Schlingensief selbst. Vor mehr als 1800 Menschen und 7 Pfahlsitzern beklagte er die alltäglichen Tauschungsmanöver, gegen die der gemeine Bürger nicht mehr ansteuern könne: "Denken Sie an die Opfer des 11. September! Im Namen von 4000 Toten und ein paar Zerquetschten werden Kriege geführt. In Afrika verhungern täglich 40.000 Menschen. In ihren Überlebenskrieg schreitet kein Kriegsherr ein. Darüber berichtet kein Kriegsberichterstatter. Stattdessen beschwören Minister und Medien die unwägbaren Gefahren, die uns aus Asien und Afrika noch drohen. Diese Schweine wollen unsere Angst! Um gewählt zu werden, um Auflagen zu verkaufen. Unsere Angst gehört uns!"
Mit Carsten L., einem ehemals führenden Angestellten der Commerzbank, dem Mitte August zum Monatsende gekündigt worden war, brachte Schlingensief "das Kulissenhafte des Wirtschaftssystems" zur Sprache. "In den Bankentürmen, die wir hier hinter uns sehen, stehen ganze Etagen leer. Das ökonomische System, das Financial Times Deutschalnd, Hans Eichel und Bloomberg TV uns vormachen, gibt es in Wirklichkeit doch gar nicht. Das ist eine riesige Geldwaschanlage, das einzig wahre Kapitalverbrechen!" Carsten L. bestätigte solche Eindrücke: "Ich kenne ehemalige Arbeitskollegen, die schon vor mir rausgeflogen sind, die aber nach wie vor im Anzug und mit Aktenkoffer durch Frankfurt geistern, um den Schein zu wahren. Das sind lebende Leichen, denen nichts mehr bleibt, außer in der Simulation von Normalzustand auf den Tod zu warten."




 






Am Donnerstagabend eskalierte die Situation an der Frankfurter Hauptwache. Um ca. 19.30 Uhr betrat ein Mann das Rednerpult an der Frankfurter Hauptwache und verschaffte sich durch Wort, Gewalt und Wortgewalt Gehör. Der unbekannte Mann, den Augenzeugen auf Mitte 40 Jahre schätzten, hatte bereits am Sonntag Morddrohungen gegen mehrere Mitglieder der Church of Fear ausgestoßen. Jetzt schien es, als wolle er seine teuflischen Prophezeiungen in blutige Tat umsetzen. Er entriß Pfahlsitzinitiator Schlingensief das Mikrofon und setzte zu einer schier endlosen Brandrede an. Alkoholisierte Frankfurter versuchten in der aufgeheizten Stimmung, einen der sieben Pfähle umzustürzen, konnten aber vom Sicherheitsdienst daran gehindert werden."Ich bin die Seele Gottes und verfluche im Namen Jesu diese Götzenveranstaltung!" schrie der Unbekannte, der auf dem Weg zum Rednerpult schon zwei Passanten tätlich angegangen hatte. In sehr kurzen Sprechpausen bließ er in eine mitgeführte Schalmay, die er auch als Waffe gegen Zuhörer einsetzte, die den Verwirrten das Wort abzuschneiden versuchten. Eine letzte besonnene Bitte Schlingensiefs, den Losverkauf nicht zu behindern, bezahlte dieser mit einer klaffenden Kopfwunde. Auch COF-Präsidentin Eva Zander, die sich auf ein Wortgefecht mit dem Amokredner einließ, wurde leicht verletzt und von dem Unbekannten des "maßlosen Satanismus" bezichtigt. Frau Zander wußte die über 2000 Augen- und Ohrenzeugen des Zwischenfalls auf ihrer Seite und verwies den Mann des Veranstaltungsortes. Dieser reagierte mit höhnischem Gelächter und weigerte sich gewaltsam, das Mikro an andere Diskutanten weiter zu reichen: "An diesem Ort wird die Welt untergehen." Es entwickelte sich ein Handgemenge, in das zu Spitzenzeiten bis zu 20 Personen verwickelt waren. Selbst die bis daton besonnenen Punks unter Pfahl Nr.4 verloren kurzfristig die Beherrschung und mischten sich in die Auseinandersetzung ein. "Es war wie ein Terrorangriff", berichtete ein notdürftig verarzteter Schlingensief. Die Situation war erst gegen 21.00 Uhr wieder vollständig unter Kontrolle.
Um 21.02 Uhr verließ ein von den Geschehnissen sichtlich gezeichneter Hans-Jürgen Kuprasch seinen Pfahl Nr.4 und legte sich neben der COF-Religionsberatung in seinen Schlafsack: "Auf dem Pfahl bin ich zu aufgekratzt, da will ich nichts verpassen. Deshalb lege ich mich lieber jetzt ein oder zei Stunden hin, um dann bis Samstag durch zu sitzen. Ein ehemaliger Angestellter aus meinem Malerbetrieb sitzt für mich Reserve." Ganz andere Motivation erfuhr unterdes Nina Krämer auf Pfahl Nr.2. Der arbeitslosen Berlinerin wurde seitens einer Dame ein Job in einem Berliner Kulturkaufhaus angeboten, den sie zum 1.10. unbedingt antreten will. Schlingensief unterstützte die Neueinstellung vorbehaltlos: "Wo Kultur sich zum Ausverkauf bekennt und dennoch neue Arbeitsplätze schafft, ist jedem gedient." Klaus Thönes hatte einen Großteil des Tages damit verbracht, mit Leuten über seine "Mutlosigkeits"-Parabel zu diskutieren.



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Als sich um 0.00 Uhr schon 5 der 7 Pfahlsitzer in Schlafsäcke und Decken gehüllt hatten - Klaus-Jürgen Kuprasch las noch in einem Buch, Björn Saragosa und seine Punks tranken ein letztes Bier - bahnte sich der abschließende Höhepunkt eines prall gefüllten Tages an. Der Frankfurter Schamane Friedrich Baumann lud die noch rund 200 verbliebenen Nachtgestalten ein, mit ihm innerhalb einer parapsychologischen Sitzung Kontakt mit Jesus Christus, Mohammed, Buddha und Adolf Hitler aufzunehmen: "Auch im Tode geht es darum, verschiedene Ansichten zusammen zu führen." Ob die Verbindung zustande kam, stand zu Redaktionsschluß noch nicht fest.