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CHURCH OF FEAR'S »3. Int. Pfahlsitzen« in Frankfurt a.M.
Frankfurt-Pressespiegel

Habt Angst!

Wie Christoph Schlingensief die Frankfurter für ihr "Grundrecht auf persönlichen Terror" sensibilisiert.

Von Felix Helbig


FRANKFURT. So ist das also. Da lebt man in einer international anerkann-ten Metropole, dem europäischen Bankenplatz, der Stadt mit der größten Automobilmesse, und es braucht sieben Säulenheilige samt Religionsge-meinschaft, uns die Realität zu entschleiern. Haben wir immer die falschen Fragen gestellt, die Augen vor der Wahrheit verschlossen? Sind wir so blind? Egal, denn jetzt sind sie da. Seit Montag sitzen sieben Säulenheilige auf ihren Baumstämmen in freiwilliger Askese auf der Frankfurter Haupt-wache, von Christoph Schlingensief uns vor die Nase, auf die Säule ge-setzt. Uns ängstlichen Ahnungslosen. Die "Church of Fear", neuestes Projekt des Künstlers, hat nach tagelanger Prozession durch deutsches Bilderbuch-Hinterland nun Frankfurt erreicht und lehrt die Passanten auf der Zeil die Angst, um sie ihnen dann zu schenken. Ja, richtig gelesen! Die Eremiten und Schlingensief wollen keine Angst nehmen, denn "Angst ist Macht". So was will den Menschen erklärt sein auf der Hauptwache, die, eingezwängt zwischen Devisentausch und Kaufrausch spätkapitalistischer Prägung, alles andere als Sinnbild eremitengleicher Askese ist. Kirche? Macht? Angst? Es stellen sich Fragen an diesem Montag, denn selten steigen die Frankfurter aus der U-Bahn, gehen ein paar Stufen nach oben und stehen vor pechschwarzen "Habt Angst!"-Bannern. Neben einem Bretterverhau, der eine Kirche sein soll, eine "Kirche der Angst". Und eben jenen Säulenheiligen - namentlich Harald, Nina, Hans-Jürgen, Björn, Susie, Hassan und Thomas. Zum Glück ist da Schlingensief, der Erklärer, der Prediger. Den inflationären Gebrauch von "Terrorismus" will er bekämpfen, der politischen Funktionalisierung des Begriffs das Mitleid entgegensetzen. Mitleid mit den Säulenheiligen, die allesamt arbeits- oder obdachlos sind, allesamt "Musterbeispiele des sozialen Verfalls in Deutschland". So ist das also. Wo Schlingensief antwortet, bilden sich Menschentrauben, recken sich Journalistenhälse, bricht Gelächter aus. Seiner Aktion kann sich nie-mand entziehen, jeder fragt und erklärt das Gelernte sofort weiter. Denn der dritte internationale Wettbewerb im Pfahlsitzen, bisherige Stationen waren Venedig und Kathmandu, erschließt sich nicht jedem Betrachter gleich von selbst. "Das ist mal was anderes. Aber ich dachte, es hat was mit der Automesse zu tun", gesteht ein Rentner, der "fear" und "fair" ver-wechselt hat. Nicht bei allen scheitert das Verstehen so früh: "Sie unter-wandern die Kirche, wie in Polen der Kommunismus unterwandert wurde", faucht ein Herr im karierten Sakko und stürmt davon. "Die beste Kunstak-tion, die ich je gesehen habe", meint ein Student. Mitleid? Kunst? Aktion? Schlingensief will die Menschen für ihr "Grundrecht auf persönlichen Terror" sensibilisieren. "Angst ist Macht", ruft er. Die Säulenheiligen, ein Abklatsch der urchristlichen Styliten, sind Ausdruck dieser Macht, ihr tugendhaftes Verweilen als Ausgesonderte demonstriert den Zeil-Gängern die fremdbe-stimmten Ängste einer Gesellschaft und demontiert sie, ganz lautlos und bescheiden. Hofft Schlingensief. Hoffen viele, die das Prinzip der "Church of Fear" verstanden haben. Schlingensief will aber nicht sagen, wovor er Angst hat. "Ich will mein Geld ja nicht gleich verprassen", sagt er. "Meine Angst ist mein Kapital." So ist das also
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Text: Frankfurter Rundschau vom 16.09.2003