Grussbotschaft der Evangelisch-Methodistischen Kirche Frankfurt
Eine "Kirche ohne Angst"

In den letzten Wochen stach mir in Frankfurt immer wieder ein Plakat in die Augen, auf dem stand: Church of Fear - zu Deutsch: Kirche der Angst. Später war auch in der Zeitung zu lesen, was sich dahinter verbarg. Es ging um eine Aktion des Regisseurs Christoph Schlingensief, die in verschiedenen Städten durchgeführt wurde. Menschen sollten animiert werden, sich zu ihrer Angst zu bekennen, und wurden dann in die "Church of Fear" aufgenommen.

Für Menschen in Angst. Es hat mich nachdenklich gemacht, dass Schlingen-sief mit dem Begriff "Kirche" arbeitet - wenn auch ins Englische verfremdet. Ist Kirche ein Raum, in den sich Menschen in Angst flüchten können? Und müsste sie, um das zu sein, eben gerade nicht "Kirche der Angst" sein, son-dern eine Gemeinschaft, in der Angst überwunden wird? Ist sie dazu fähig oder ist sie selber so von Angst erfüllt, dass sie mit der Angst der Menschen nur schwer umgehen kann?

Christen ohne Furcht. Der Pastor meiner Heimatgemeinde provozierte uns oft mit der Behauptung: Ein Christ hat keine Angst! Und zum Beweis dafür verwies er auf 1. Joh. 4,18: "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus."

Wenn wir dann Joh. 16,33 zitieren: "In der Welt habt ihr Angst", macht er (zu Recht) geltend, dass dies eine ungenaue Übersetzung der Aussage: "In der Welt habt ihr Bedrängnis" sei. Und in der Tat - wenn wir ganz im Vertrauen auf Gott aufgehen würden, müssten diese Ängste nicht sein. Denn wer in Gottes Hand geborgen ist, hat nichts zu fürchten. Aber die Angst sitzt auch bei uns Christen noch in unserem Körper und unserer Seele: sie überfällt uns wie jeden Menschen.

Ich gebe zu: Manchmal habe ich Angst, zum Beispiel wenn beunruhigende Symptome auf eine bedroh-liche Krankheit hinzuweisen scheinen. Oder wenn Entscheidungen schwierig sind, weil ich zwischen zwei Übeln wählen muss und unklar ist, welches größeres Unheil anrichtet. Solche Ängste können hilfreich sein. Sie warnen vor Gefahr, leiten zu umsichtigem Handeln an und können so auch bearbeitet werden. Aber manchmal steigt die Angst einfach so in uns auf - ohne erkennbare Bedrohung und darum schwer fassbar. Es ist wichtig, dass uns diese Angst nicht von Innen her auffrisst. Darum bin ich für Luthers "Fehlübersetzung" dankbar. Die Bedrängnis in dieser Welt kommt nicht nur von Außen. Sie kommt auch von Innen und macht mir Angst. Aber Christus hat die Welt überwunden und damit auch meine Angst in ihr.

Die Ängste entsorgen. Paulus selbst formuliert seine Erfahrung damit so: "Wir sind bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht" (2. Kor. 4,8). Christen wissen, wohin sie mit ihrer Angst gehen. Schon in den Psalmen hören wir von Menschen, die ihre Ängste zu Gott bringen (vgl. 4,2; 22,12; 25,17).

Und es ist gut, wenn das nicht nur im stillen Kämmerlein geschehen muss, sondern in der Gemeinde, in einer Gemeinschaft von Menschen, die zu ihren Ängsten stehen, und sich zugleich zu dem bekennen, der ihre Angst getragen hat und sie mit ihnen durchsteht. Also keine "Kirche der Angst", sondern "Kirche der Hoffnung", in der die Ängste aufgehoben sind.

Kann auch eine Institution Angst haben? Oder sind wir es, die diese Institution verkörpern und oft so ängstlich sind, das zu tun, was geboten ist, nämlich Unrecht beim Namen zu nennen. Unversöhnlichkeit aufzudecken, Sünde zu bekennen. Wovor haben wir Angst? Vor Streit, vor Austritten, vor dem Verlust allgemeiner Akzeptanz?

Angst kann helfen, Gefahren zu meiden. Aber Angst allein ist ein schlechter Ratgeber - auch für Kirchen und Gemeinden! Sicher - die Gefahren sind da. Aber Mut zu fassen bedeutet ja nicht, die Augen vor den Gefahren zu verschließen, sondern trotz der Gefahr das Rechte zu tun. Eine Kirche der Hoffnung muss ihre Ängste nicht verleugnen. Aber sie bleibt nicht Kirche der Angst, sondern ist Kirche voller Mut.

Bischof Dr. Walter Klaiber, Frankfurt