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»DER SCHREITENDE LEIB«
KIRCHE DES KREATIVEN SPRUNGS

Bericht v. der SUCHE NACH PARSIFAL zwischen Bonn und Remagen

Logbuch der CHURCH of FEAR: Wir schreiben den 6. September 2003. Die Kirche der Angst nimmt in den frühen Morgenstunden Kurs auf Remagen, der im letzten Weltkrieg vor dem nächsten arg gebeutelten Rheinstadt. Der Bonner Münster ist Startpunkt und malerischer Hintergrund der zweiten Etappe zugleich. Um 10.00 Uhr formiert sich die Pilgerschaft auf dem Münsterplatz zur Morgenandacht. Aus einem ebenfalls vor Ort geparkten Infobus des Bonner General-Anzeigers heraus bieten zwei junge Damen Orangensaft und belegte Brote, mor-gentliche Wegzehrung für die anstehenden 29 Kilometer. Gemeindemitglied Christoph Schlin-gensief schlägt zu dieser frühen Stunde besinn-liche Töne an, für die sich schnell dankbare Zuhörer finden: »Sie leben in einer Stadt, die von der deutschen Geschichte auf das Schänd-lichste vergessen worden. Wir von der CHURCH of FEAR versichern Ihnen: Wenn jeder von Ihnen an sich selbst denkt, ist an jeden ge-dacht. Nehmen Sie Ihr Schicksal selbst in die Hand. Reißen Sie denen das Ruder aus der Hand, die sich anmaßen, Ihre deutsche Ge-schichte zu schreiben. Die CHURCH of FEAR weiß nicht, wie es geht. Die CHURCH of FEAR weiß aber mit an Unsicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit, wie es nicht geht - mit Duck-mäuserei, Bequemlichkeit und Lebensmüdigkeit. Wacht endlich auf, Bürger Bonns!« Nach Ver-teilung des aufwendig gestalteten »Lieder-buches der Angst« an die anwesende Bonner Bevölkerung durch die COF-Mitarbeiter, be-sangen alle gemeinsam den »Frühtau zu Berge«, der in gesamter lyrischer Breite die bevor-stehende Tagesetappe beschreibt:

Im Frühtau zu Berge wir gehen, fallera,
es grünen die Wälder, die Höh´n, fallera.
Wir wandern ohne Sorgen singend durch den Morgen, noch ehe im Tale die Hähne krähn.

Ihr alten und hochweisen Leut,
ihr denkt wohl, wir sind nicht gescheit.
Wer sollte aber singen wenn wir schon Grillen fingen, in dieser herrlichen Frühlingszeit.

Werft ab alle Sorge und Qual,
und wandert mit uns in das Tal.
Wir sind hinausgegangen den Sonnenschein zu fangen, kommt mit und versucht es doch selbst einmal!

Der Schreitende Leib hat begonnen:
Singen, Tanzen, Trommeln.






Am Rheinufer entlang, vorbei am ehemaligen Abgeordnetenhaus »Langer Eugen«, nahm der SCHREITENDE LEIB Kurs auf die Schiffsanlege-stelle Bonn-Bundeshaus. Eingerahmt von den Transparenten »Schreitender Leib« und »Church of Fear«, begleitet von tibetanischer Geistermusik aus dem COF-Wanderwagen, ließ die Gruppe Ruinen deutscher Nachkriegspolitik hinter sich - den noch 1990 neu erbauten Plenarsaal des Deutschen Bundestags genauso wie die Garten-seite des Bundeskanzleramts; dazwischen Straßen, die den deutschnationalen Gustav Stresemann ebenso würdigen wie den Waffen-händler Franz-Josef Strauß. »Hier hat die Politik wieder einmal niemanden vergessen, außer eben all die, für die Politik gemacht werden sollte.« Eine kleine Sackgasse am Rande der Prozession taufte die COF-Gemeinschaft anschließend auf den Namen »Jürgen-Möllemann-Weg«: »In dieser Reihe glorreicher Tyrannen darf der größte Fall-schirmspringer aller Zeiten nicht fehlen. Die Church of Fear hatte ihn gewarnt, er wollte den schlecht gemeinten Rat nicht annehmen.« So ganz nebenbei wurden vorbei eilenden Joggern und Radfahrern noch Flugblätter und Routen-planer angereicht, auf daß sie sich irgendwann der COF-Prozession anschließen mögen. Dies hatten am zweiten Tag auch Christian (16) und Wadim (17) aus Bonn getan, die die Tour bis Frankfurt begleiten wollen.

An der Schiffsanlegestelle nahm die neu ge-gründete COF-Ortsgruppe Bonn-Bad Godesberg die Reisenden in Empfang. Nach einem Gruppen-bild mit Damen besang man den »Gelben Wagen« des Ex-Bundespräsidenten Scheel (Projekt 18). An Ort und Stelle gesellte sich ein alter Weggefährte Schlingensiefs und Sympath-isant der CHURCH of FEAR zu den Pilgernden: Dr. Carl Hegemann, Alltagssoziologe und Chef-dramaturg der Berliner Volksbühne, die hinter dem Thalia Theater Hamburg und dem Deutsch-en Bundesrat in diesem Jahr nur den dritten Platz unter den besten deutschen Theatern belegte. Auf dem Rheinschiff »Beethoven« hieß Kapitän Schmidt die COF-Mannschaft Herzlich Willkommen und bat Schlingensief sogleich nach dem Ablegen auf die Kommandobrücke. Zum Eintritt ins Schmidtsche Reich läutete das Kirchemitglied die Schiffsglocke: »Mit dreimal-igem Läuten wünschen sich die Schiffer Glück und Gute Fahrt, so wie die Menschen in Tibet mittels Glockenläuten die guten Geister be-schwören.« Kapitän Schmidt stellte das Bord-mikro zur Verfügung und Christoph Schlingensief ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, den amerikanischen und niederländischen Touristen an Petersberg und Drachenfels vorbei von den wirklichen Sehenswürdigkeiten Deutschlands zu berichten: »Angst ist ein Gebäude, das Sie alle in sich tragen. Es hat Türen und Fenster, aber Sie dürfen das Durchlüften nicht vergessen! Frische Angst für ein frisches Europa!«

Auch Dr. Carl Hegemann, COF-Philosoph aus Paderborn, nahm teil am »Schreitenden Leib«

In der Zwischenzeit hatte Mitpilger Hegemann auf dem Oberdeck eine Schar interessierter Zuhörer um sich versammelt. Unter dem Titel »Katholizismus und Verbrechen« sprach er über Greueltaten unter missionarischem Deckmantel, wie sie dem Vatikan ebenso eigen sind wie der IG Metall und dem Westdeutschen Rudfunk (WDR). Neugierige Nachfrager ließ er dabei nicht auf grund laufen, so entgegnete er Skeptikern des COF-Anliegens mit bedachter Eloquenz: »Jeder Blödsinn hat einen realen Kern. Politik und Kirche handeln mit unserer Angst vor dem Tod. Tod durch Krieg oder Tod und Teufel - wieso sollen wir unsere Nicht-Existenz fürchten? Erst einmal geht es um die Angst vor unserer Existenz!«
Der zur Mannschaft zurück gekehrte Schlingensief stimmte in den Vortrag ein: »Laßt Euch Eure Angst nicht nehmen. Angst macht hörig, wenn es nicht Eure eigene ist. Angst verführt zur Leicht-gläubigkeit. Darum gilt für die COF: an nichts glauben! Nehmen Sie sich selbst nicht zu leicht! Nehmen Sie es schwer, aber nehmen Sie es auf sich! Sind Sie endlich mal der Ketzer ihres eigenen Nicht-Glaubens!«
An der Anlegestelle Rolandseck verließen die Pilger das gar nicht sinkende Schiff, auf dem erleuchtete Touristen zum Abschied winkten. Die CHURCH OF FEAR auf Wanderschaft, mittlerweile 44 Personen, zog kurz darauf in die rheinischen Wälder ein und intensivierte auf dem Rheinhöhenverbindungsweg die »Suche nach Parsifal«. Durch die Wipfel drang Muezinmusik, im Wechsel mit Megafonansagen Schlingensiefs, wenn schon nicht den reinen Tor, so doch zumindest Kundry und die Blumenmädchen ausfindig zu machen. Das Wandern hat seine Tücken und so kam die Truppe ausgerechnet auf dem »Holzweg« von selbigem ab. Nach kurzer Orinetierungslosigkeit kehrte der SCHREITENDE LEIB auf seine eigene Umlauf-bahn zurück. Im verschlafenen, um nicht zu sagen toten Örtchen Birgel setzte Hegemann zu einer Straßenkundgebung an, während COF-Mitglied Sonja (27) aus Karlsruhe eine erste Reliquie vom Straßenasphalt aufnahm: eine tote Maus, die in Spiritus eingelegt mit nach Frank-furt wandern wird. Hegemann erklärte zunächst verschüchterten, dann offenen Ureinwohnern die »offensichtliche Verbindung von Church of Fear und Adornos negativer Dialektik. Angst ist eine Waffe! Ein selbständiger Gedanke ist wie eine Kugel im Kopf, die darauf wartet, gefeuert zu werden.« Beim Auszug Richtung Remagen rief Schlingensief durch die verlassenen Gassen die beschwörenden Worte: »Die COF komme über Euch, als stündet ihr vor den Trümmern Eures eigenen Hauses, das fremde Hände Euch gebaut haben! Baut gefälligst selbst!«

Im Zielort Remagen nahm der SCHREITENDE LEIB an der Abendvesper im Apollinariskloster teil. Im Rahmen des Gottesdienstes wurden sieben Jungmönche in die klostergemeinschaft aufgenommen. Im Namen der CHURCH of FEAR versagte auch Christoph Schlingensief ihnen nicht die Besten Wünsche, versprach ihnen darüber hinaus aber auch, daß die Pforten der Angstkirche allzeit für sie geöffnet blieben.

 







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