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Mahnwache der Church of Fear in Bhaktapur mit verbotener Bürgerrechtsbewegung

 

COF-Gemeindemitglied Schlingensief setzt sich vor über 700 Zuhörern für mehr demokratische Mitbestimmung ein

 

Ein Polizist am Rande der COF-Mahnwache

 

Schlingensief diskutiert mit streikenden Müllmännern vor dem Rathaus in Bhaktapur

 

Nepals Militär beim Appell (Archivfoto)

CHURCH of FEAR´s PROZESSION - DIE SEELENWANDERUNG

Pokhara - Kathmandu, 31.07. - 05.08.03

CHURCH of FEARīs ZWEITER INTERNATIONALER PFAHLSITZWETTBEWERB

Kathmandu, Nepal, 05.-18.8.03

ZWISCHENBERICHT 03

Bericht vom Wochenende, 9.-11. August 2003, mit ersten FOTOS aus Nepal

"Vom "Dach der Welt" ins Zentrum der Aufmerksamkeit"


+++ Ereignisse in Kathmandu überschlagen sich: Örtliche Müllabfuhr schließt sich Demonstranten in Mulpani an +++ Hungerstreik in Mulpani +++ COF veranstaltet Mahnwache mit verbotener Bürgerrechtsbewegung (Foto) +++ Schlingensief setzt sich vor mehr als 700 Zuhörern für demokratische Mitbestimmung ein +++ Polizei schüchtert Demonstranten ein, Stadtrat setzt sog. "Bürgermilitär" ein +++ Bürgermeister von Bhaktapur ruft Amtskollegen zur Ordnung +++ COF-Gründungsmitglied reist nach Nepal +++ COF sagt Alternativpfahlsitzen ab und organisiert RITUAL in Bhaktapur +++ COF und Tageszeitung "Himalaya Post" vereinbaren Zusammenarbeit +++ Entwicklungsdienst zunehmend in Bedrängnis +++ COF-Gemeinde Königslutter plant Hilfskonvoi +++


Die Entwicklung in Kathmandu hat am Wochenende ein unvorhersehbares Ausmaß angenommen. Vom seitens der CHURCH of FEAR ursprünglich ausgerichteten Pfahlsitzwettbewerb und der diesen umgebenden Volksfeststimmung ist nach einer knappen Woche nicht mehr viel übrig geblieben. Gemeindemitglied Christoph Schlingensief hat am frühen Samstag die COF-Gründungsmitglieder über den Status Quo in Kenntnis gesetzt, die sich daraufhin entschlossen, einen Abgesandten nach Nepal zu schicken. "Die Church of Fear", so ein Mitglied der COF-Mannschaft, "steht hier vor einer echten Bewährungsprobe. Wir sind ehrlich gesagt etwas überrascht, wie sehr die Church selbst in einem Land gebraucht wird, von dem vermutlich weder Herr Bush noch Osama Bin Laden jemals gehört haben."


Nachdem am Donnerstag einstimmig das vorzeitige Ende des ZWEITEN INTERNATIONALEN PFAHLSITZWETTBEWERBS besiegelt und die schockierende Geschichte um den Pfahlsitzaussteiger Gong bekannt wurde, ist aus dem mehr oder weniger passiven Protest gegen politische und behördliche Willkür ein aktiver Widerstand geworden. Am Freitagmorgen traten zunächst 17 Mitarbeiter der Mülldeponie Mulpani in den Streik. Sie erklärten sich solidarisch mit den vor den Toren der Anlage ausharrenden Demonstranten (wir berichteten). Die Androhung des Ordnungsamts, sämtliche Streikende fristlos zu kündigen, führte dann zu einem Generalstreik der gesamten Deponiebelegschaft. Diesem schloß sich dann sogar der Geschäftsführer an. Seit Mittwoch sind dem vom Pfahl gestiegenen Gong damit bereits mehr als 400 Einheimische in den offenen Protest gefolgt, den Ersterer am Freitagnachmittag als "Aufruhr der Angst" betitelte. Ungefähr zur gleichen Zeit setzte sich ein Vertreter der von der nepalesischen Regierung verbotenen Bürgerrechtsbewegung PPN mit COF-Mitarbeitern in Verbindung und schlug eine Zusammenarbeit der Bewegungen vor. Die PPN war von 1997 bis 2001 im nepalesischen Parlament vertreten, wurde dann aufgrund "anti-monarchischer Bestrebungen" über Nacht verboten. Für den Abend hatten Schlingensief und COF-Mitarbeiter die streikende Deponiebelegschaft, die PPN und Mitreisende der CHURCH of FEAR zu einer "Vollversammlung" in einen Aufenthaltsraum der Mülldeponie Mulpani eingeladen, unter ihnen auch die sechs verbliebenen Pfahlsitzer. Den Anfang machte eine bewegende Rede Gongs, der seine Lebensgeschichte stellvertretend für so viele der Anwesenden Revue passieren ließ. "So ungeschönt über mein Schicksal zu sprechen, war für mich ein großer Schritt. Auch hier wird Armut und Angst sonst völlig totgeschwiegen." Anschließend erklärte ein Sprecher der PPN die "Zeit des Aufbruchs" für gekommen. Für die CHURCH of FEAR mahnte Schlingensief vor mehr als 700 Versammelten an, die Umstände der sich bildenden Protestbewegung nicht auf Nepal zu beschränken. "Angst kennt keine Grenzen", so das Gemeindemitglied, "Verbrechen kennt keine Grenzen. Was hier passiert, geht uns alle an! Alle Mißstände, die während unseres Aufenthalts ans Tageslicht gekommen sind - sei es totale Armut, Arbeitslosigkeit, sei es politische Verfolgung oder Vetternwirtschaft - haben einen gemeinsamen Auslöser, nämlich die Vergewaltigung der Macht durch diejenigen, die in Polstermöbeln an Schalthebeln und Geldhähnen sitzen!"


Das Treffen, dem lokale Rundfunkstationen sowie Redakteure der Himalaya Post und der Kathmandu Post beiwohnten, endete mit der Annahme eines Vorschlags von Schlingensief, im Sinne der CHURCH of FEAR "lautlos zu schreien" und eine Mahnwache zu veranstalten: "In schwierigen Zeiten wächst auch die Kraft." So fanden sich am Samstag um 7.00 Uhr erstmals 16 Streikende und 4 demonstrierende Arbeitslose zu einer Mahwache vor den Deponietoren zusammen. Doch auch dies ist mittlerweile nicht mehr der aktuellste Stand der Dinge. Die Dringlichkeit ihrer Anliegen hat einen Deponiearbeiter und 3 PPN-Mitglieder veranlaßt, schon am Nachmittag des selben Tages in einen zunächst auf drei Tage befristeten Hungerstreik zu treten. Sie haben ihr Lager auf den Stufen einer verfallenen Tempelanlage aufgeschlagen, die auf halbem Wege zwische Deponie und dem kathmandischen Stadtzentrum liegt. Vor dem Banner der PPN (rot-weiß-rote Flagge mit vier Sternen) und einem Spruchband, das auf die zunehmende Entdemokratisierung des politischen und alltäglichen Lebens hinweist, harren sie aus. Vom Plan des Pfahlsitzers Ludger Thönnies, sich als COF-Vertreter am Hungerstreik zu beteiligen, bat Christoph Schlingensief Abstand zu nehmen. Aufgabe der COF-Delegation sei es vielmehr, einen weiteren "Frontabschnitt" nicht aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit zu entlassen: die Entwicklungshilfe. Auf nicht nachlassenden Druck hin hat der deutsche Entwicklungsdienst nun erstmals mit Informationen reagiert, die per Fax in der Inlandsredaktion der Himalaya Post eingingen; dort haben unterdes auch zwei COF-Mitarbeiter ein kleines Büro zur Verfügung gestellt bekommen, von dem aus sie den Kontakt zu hilfsbereiten COF-Gemeinden in aller Welt intensivieren. So will beispielsweise eine nicht mehr als siebenköpfige Gemeinde aus Königslutter bei Wolfsburg bis zum Ende der kommenden Woche probieren, einen Kleidungsund Nahrungsmitteltransport nach Mulpani zu starten. Ein Wolfsburger Backvorlagenhersteller hat zwei seiner Lieferfahrzeuge in Aussicht gestellt. Darüber hinaus hat das Engagement der niedersächsischen Gemeinde zu einem näheren Kontakt mit einer der ersten COF-Initiativen, der Gemeinde in Bombay, geführt. Auf diese Weise kam eine erste Gemeindepatenschaft zustande. Die COF Bombay stellte sich überdies als Basisstation für alle Nepal betreffenden Aktionen zur Verfügung.


Zurück zu den Informationen seitens des Deutschen Entwicklungsdienstes. Nach eigener Auskunft verfüge dieser im Haushaltsjahr 2002/2003 über Fördermittel in Höhe von 1,63 Billionen Rupien, das sind umgerechnet gut 19 Millionen Euro. Davon seien bislang 6 Millionen Euro für die Produktion wiederverwertbarer Energien, sprich in den Bau von Klär- und Solaranlagen investiert worden. Die Stadt Bhaktapur habe knapp eine halbe Million Euro zugunsten eines Biogas-Projekts erhalten. Diese Zahl hat Bürgermeister Kapore Manzing inzwischen zwar bestätigt, gab jedoch zu bedenken, das mehr als ein Drittel des Geldes dafür verwendet werden müsse, vom Entwicklungsdienst geschmierte Landbesitzer und Bauunternehmer auszuzahlen. Das in 2003 nochmals mit 8 Millionen Euro bezuschußte Wasserkraftwerk im Marshiyangtal ist auch nach 12 ! Jahren immer noch nicht fertigstellt, geschweige denn zum Vorteil der Bevölkerung einsatzbereit. Gemeinsam mit einem Politikredakteur der Himalaya Post will die CHURCH of FEAR dieser Ansammlung von Skandalen jetzt rücksichtslos entgegentreten. Denn auch den parlamentarischen Ausschluß der PPN führte ein Sprecher gegenüber der Zeitung auf den Einsatz der Bewegung für eine lückenlose Darlegung aller aus dem Ausland eingeführten Entwicklungsgelder zurück. "Das würde unsere Regierung hier, aber auch so manche westliche Regierung ganz schön in die Enge treiben." Und weiter: "Alle uns bekannten Entwicklungsprojekte leiden daran, daß sie Stückwerk sind. Es wird immer ein Teil erledigt, der Finanzielle. Aber ein Projekt besteht eben nicht nur aus einem kurzfristigen Finanzierungsplan. Ein Beispiel: Ein Projekt entschließt sich, den Bauern eine neue Erwerbsquelle zu liefern, anhand von Apfelbäumen. Es werden Dörfer ausgewählt, welche Gemeinschaftsland zur Verfügung stellen und es wird eine kleine Apfelbaumplantage aufgebaut. Bis die Bäume groß genug sind, um brauchbare Früchte tragen zu können, sind sie total verwachsen und tragen nur kleine Äpfel. Es wurde versäumt, den Bauern beizubringen, wie die Bäume richtig zugeschnitten werden. Erwartungen wurden geweckt, Land wurde gegeben; Arbeit wurde investiert, es wurde aber nichts geerntet. In der Zwischenzeit verprassen die Dorfoberen das Fördergeld. So sehen die meisten Hilfsprojekte aus. Ein großes Problem sind unfähige Botschaftsangestellte, die ihren Job absitzen, ohne Bezug zu Land und Leuten. Seit Jahrzehnten wird Entwicklungshilfe geleistet, aber keine Ausbildung sorgt dafür, daß fähige und wissende Entwicklungshelfer ausgebildet werden. So wird Entwicklungsdienst das bleiben, was es jetzt schon ist: eine riesige Geldwaschanlage."


In einem Interview mit der Himalaya Post ergänzte Schlingensief: "Die Projekte habe offensichtlich gemein, daß sie funktionieren, jedoch auf Kosten der betroffenen Regionen und der dortigen Bewohner. Das ist kein Zufall, denn Geldhaber und Geldwäscher arbeiten in die eigene Tasche. Wer aber Großprojekte verwirklicht, sollte sie umfassend planen und durchführen. Es ist nicht damit getan, die Autos oder die Turbinen zu finanzieren und dann alles ohne weitere Hilfe zu übergeben. Erst muß rechtschaffenes Geschäftsgebahren gesichert sein. Was hindert die deutsche Entwicklungshilfe dafür zu sorgen, daß die Vertragsbestimmungen rund um ihre Projekte eingehalten werden? Mittlerweile sind die Menschen sehr mißtrauisch gegenüber solchen Großprojekten. Sie verweigern ihre Zustimmung, da die Erfahrung zeigt, daß die Verantwortlichen in Kathmandu sich schamlos bedienen und sogar zugesagte Arbeitsplätze oder 1% des Erwirtschaften verweigern." Der wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit für Mahnwache und Hungerstreik tritt die Polizei inzwischen mit verstärkter Präsenz entgegen. Ein Mitarbeiter der COF bezeichnete die Situation am Samstagabend als "mehr und mehr angespannt". Einem Gerücht zufolge haben sich Mitglieder des Stadtrats für einen vorsorglichen Einsatz des sog. "Bürgermilitärs" stark gemacht. Das Bürgermilitär besteht aus uniformierten, aber auch zivilen Soldaten, die allesamt bewaffnet sind. Die ursprüngliche Idee einer Fortsetzung des ZWEITEN INTERNATIONALEN PFAHLSITZWETTBEWERBS hat Christoph Schlingensief inzwischen fallen gelassen. Nach Rücksprache mit Vertretern aller beteiligten Positionen plant die CHURCH of FEAR nun für Montag den Beginn eines ein-wöchigen RITUALS in Bhaktapur. Schlingensief: "Das mag bescheuert klingen, aber wir haben jetzt schon allen Grund, zu feiern. Die Church ist aus dem venezianischen Kunstkäfig ausgebrochen und im Alltag angekommen. Die Leute hier haben ihre Botschaft verstanden: Macht Euch Eure Ängste Untertan. Wenn wir mit all unseren Freunden und Sympathisanten am Montag ein Fest zur Wiedergeburt unserer Angst begehen, dann ist das ein Signal. Wir bauen ein Kraftwerk, das keine Mauern benötigt, keine korrupten Schweine, keine Schwarzgelder. Wir bauen ein Kraftwerk, das wir selber sind." Den Mitorganisatoren des SCHREITENDEN LEIBS (5.-13.9.) von Köln nach Frankfurt a.M. sowie des ABENDMAHLS (13./14.9.) und des offiziell DRITTEN INTERNATIONALEN PFAHLSITZ-WETTBEWERBS (15.-21.9.) in Frankfurt a.M. hat Christoph Schlingensief inzwischen Grünes Licht für die Veranstaltung gegeben: "In Deutschland wartet nicht weniger Arbeit auf die COF als hier. Venedig - Kathmandu - Frankfurt, das ist für uns Terrorgeschädigte eine geradezu logisch nachvollziehbare Achse."


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