Aus dem ZWEITEN INTERNATIONALEN PFAHLSITZWETTBEWERB der CHURCH
of FEAR in Kathmandu ist binnen zwei Wochen beinahe zwangsläufig
ein RITUAL der Angst hervor gegangen. Unter dem Titel DÄMONENAUSTREIBUNG
sind viele Geister geweckt geworden - gute und böse.
Das seitens der CHURCH of FEAR
initiierte RITUAL - DÄMONENAUSTREIBUNG
ist am Mittwochabend zuende gegangen. Ein erschöpfte COF-Mannschaft
hat mittlerweile die Koffer gepackt und befindet sich auf dem
Heimflug. Zurück bleiben zahllose Eindrücke, die auf
Verarbeitung warten. Nicht länger Warten müssen die
Mahnwachenden Deponiearbeiter und Arbeitslosen, die eine ganze
Woche lang gegen die schier unauflöslichen Verstrickungen
von Lokal- und Entwicklungspolitik protestiert haben. Den Männern
sind verbesserte Arbeitsbedingungen respektive weitere Arbeitsplätze
in Aussicht gestellt worden. Da es zwischen Versprechungen und
Versprechern auch in der nepalesischen Tagespolitik nur ein kurzer
Weg ist, gilt es, die weitere Entwicklung aufmerksam zu beobachten!
Das RITUAL hat bis zur Wochenmitte
nochmals die Massen bewegt, und das im Wortsinn. Bhaktapur wurde
zum Schauplatz eines bunten, musikalischen Volksfestes von und
mit furchsamen Menschen aus aller Welt. Angst wurde ausgesprochen
und besungen - Angst wurde heraufbeschworen, um den fremd geschürten
Ängsten Einhalt zu gebieten. Zeremonien, wie sie im Rahmen
der Veranstaltung stattfanden, sind Kraftakte, die Hoffnung freisetzen,
die aber auch Energie und Opfer fordern. Und so nehmen alle, vor
allem aber die zugereisten Teilnehmer, ganz eigene Eindrücke
mit nach Hause.
COF-Gemeindemitglied Christoph
Schlingensief, der als Ausrichter der Pfahlsitzens nach Nepal
gekommen war, machte gestern aus seiner Erschöpfung keinen
Hehl: "Gegen diese Anstrengung ist jede Theaterprobe ein
Kurzurlaub. Ich für mich kann sagen, daß ich jetzt
erst einmal am Ende angekommen bin. Ich bin durch die Ereignisse
in Bhaktapur aufgeladen und gleichzeitig völlig überrollt.
Zweitweise kommt mir der Gedanke, daß wir hier gar nichts
verloren hatten, daß die Menschen hier von vornherein viel
besser wußten, wie sie durch ihre Perspektivlosigkeit hindurch
doch noch einen Blick in die Zukunft werfen können. Davon
können wir uns dicke Scheiben abschneiden." Dem stimmte
eine COF-Aktivistin aus Nürnberg
unter Tränen der Ermüdung zu: "Man weiß gar
nicht mehr, was man sagen oder denken soll. Ich bin mitgekommen,
um wach zu rütteln und zu helfen, und habe das Gefühl,
als sei ich die Erweckte, der man selbst am meisten geholfen hat."
Deutlich von den Strapazen gezeichnet auch Gemeindemitglieder
aus Bielefeld, die erst am vergangenen Mittwoch eingeflogen sind.
So spontan sich die sechs Frauen im Alter zwischen 24 und 61 Jahren
auch auf die Reise gemacht hatten, so spontan auch ihre Einsatzbereitschaft
am Ort des Geschehens. Angelika Maltritz (56), Heilprakterin aus
Bielefeld-Sennestadt, konnte ihre Empfindungen noch am ehesten
auf den Punkt bringen: "Ich bin gar nicht religiös,
vielleicht auch deshalb der säkularen Angstkirche beigetreten.
Ich habe keine Ahnung von Nepal gehabt, geschweige denn von den
Schamanen, die uns auf unseren Seelenreisen begleitet haben. Darum
bin ich auch total hin und weg, von allem und jedem." Gar
auf einem anderen Planeten zu sein, meinte zwischenzeitlich ihre
Reisegefährtin Lena Tekampe (24): "Das ist eine andere
Galaxy. Nach dieser Erfahrungsflut glaube ich an keinen Gott mehr.
Ich glaube an uns, an mich. - Damit steigen aber auch die Anforderungen
an jeden selbst."
Matthias Selbik, Arzt im Praktikum aus Linz / Österreich,
arbeitet im Hospital von Bhaktapur und war hingegen eher zufällig
zu den Feiernden gestoßen: "Daß sich was tut
in der Stadt hatte man schon gehört. Von dem RITUAL
hat mir eine Krankenschwester erzählt, deren Halbbruder zu
den streikenden Deponiebeschäftigten gehört hat."
Für Selbik, seit gut zwei Monaten in Nepal, erklärte
sich die Harmonie der Bewegung, der neben Streikenden, Arbeitslosen,
politisch Verfolgten auch die CHURCH
of FEAR angehörte, ganz einfach: "Die Menschen
hier flüchten vor dem täglichen Überlebenskampf
ins Transzendentale. Die COF
vom andern Ende der Welt sagt andererseits, daß jeder seine
eigene Religion ist, an die er glauben muß - beides hat
sich wie selbstverständlich ergänzt."
Edgar Verfoort, Professor für Reinkarnation und Gesprächstherapie
an der Universität Utrecht war mit einer neunköpfigen
Studiengruppe zunächst in Indien, dann in Tibet unterwegs,
bevor es ihn nach Bhaktapur zog: "Nichts ist schwieriger,
als der Wissenschaft einen Weg zum nicht Belegbaren zu bahnen.
Das nicht Belegbare hat sich im Verlauf dieser Veranstaltung aber
in den Gesichtern ihrer Teilnehmer nieder geschlagen. Das kann
als Beweis betrachtet werden. Aus Angst wurde Freude, aus Trauer
wurde Hoffnung. Jeder hat sich auf seine ganz eigene Weise wiederbelebt."
Seine Studentin Lynn sah das ganze etwas praktischer: "Unsere
Schakren sind wie Schubladen, die manchmal klemmen. Bekommt man
die dann auf, wundert man sich, was man darin noch alles finden
kann. Das zweite Schakra zwischen Bauchnabel und Schambereich
ist das Emotionszentrum, da liegt extrem viel Krempel drin herum."
Schamane Layma Noma, der bereits am Dienstag aus privaten Gründen
nach Kathmandu gefahren war, zeigte sich von Qualität und
Quantität des RITUALS
überwältigt: "Das diese Zusammenkunft so unterschiedlicher
Menschen und Menschenseelen zu einem solchen Schmelztiegel der
Emotionen würde, hätte ich niemals zu hoffen gewagt.
Inhaltlich und rein äußerlich wurde hier auf das Wissen
und die Weisheit aufmerksam gemacht, wie persönlicher Frieden
grundsätzlich zu finden ist. Das sind Bestände, die
jeder hat und die auf dem Pfad zum Frieden nicht selten auch durch
kriegerisches Gebiet weisen. (...) Wenn eine absolute Wahrheit
gelebt wird, was bedeutet, daß man diesen Pfad der Angst
voll des Mutes begeht, bewirkt dies einen Energiefluß aus
Liebe und Mut, der aber nicht notwendigerweise mit einem Gefühl
verknüpft sein muß. Der Energiestrom des Herzens ist
der Energiestrom der Götter, der sich einstellt, wenn wir
unser wahres Selbst leben, das eins ist mit dem göttlichen
Wollen. Dieser Strom folgt immer der absoluten Wahrheit, der Weisheit
und dient damit dem Leben, dem wahren Leben im Einklang mit sich;
er führt zum Frieden, er ist Frieden. Aber Jeder muß
dieses Tor aus eigener Kraft finden und durchschreiten. Das RITUAL
hat seinen Teilnehmern einen Schlüssel in die hand gegeben.
Er ist Symbol der Verantwortung, die man für sein Tun und
Sein übernehmen muß. Bewußte Entscheidungen müssen
getroffen werden. Neue Wege müssen gegangen werden."
"Jeder Schritt", schloß sich sein Freund und Schamane
Yarlung an, "ist ein Schritt ins Nichts, bei dem man sich
an nichts Vertrautem festhalten kann. Aber wenn wir es wagen,
gelangen wir in die Ganzheit, in der fernab von Lüge, Macht
und Haß wirklicher Frieden in Form von Liebe durch Kopf
und Herz fließt."
Im Verlauf der Abschlußveranstaltung wurde am Mittwochabend
die COF-Gemeinde Bhaktapur
ins Leben gerufen. Unter dem Beifall der RITUAL-Teilnehmer
rief Gründungsmitglied Robin Saleb Sol dazu auf, die Anstrengungen
um eine "Demokratisierung unserer Heimat" auch nach
Abreise der europäischen COF-Gäste
unvermindert fortzusetzen: "Keine Macht der Welt kann uns
mehr daran hindern, aus unseren Ängsten Kapital zu schlagen.
Angst ist für viele von uns der einzige Besitz. Verwalten
wir ihn in Zukunft also selbst!" Die anschließende
Gründungsversammlung verzeichnete bereits neun Eintritte
Einheimischer in die CHURCH of FEAR:
"Herzlich Willkommen im Basislager Eurer Angst", begrüßte
Robin die Anwesenden. COF-Mitarbeiterin
Maite aus Dortmund referierte über Einsatzfelder der COF
in Europa und zeigte dann einen kurzfristig organisierten Diavortrag
über das Auftreten der CHURCH of
FEAR in Venedig.
Auf der Abschlußveranstaltung dankte der PPN-Vorsitzende
Bhattarai zuvor allen am "Aufstand der Ängste"
Beteiligten und hob die Rolle der protestierenden Arbeitslosen
hervor: "Sie haben dem Volkwillen eine Stimme gegeben und
aus einer Stimme ist ein Chor geworden, in den die Unterdrückten
Nepals eingetreten sind." Auf dem Hauptplatz von Bhaktapur
gingen seine mahnenden Worte anschließend fast im Beifall
der in mehrlei Hinsicht befreiten Zuhörer unter: "Den
Regierenden Nepals und der Welt rufen wir es zu: Vergeßt
niemals die Macht der Entmachteten!" Besonderer Applaus wurde
dem Hr. Kapore Manzing zuteil. Der Bürgermeister der Königsstadt
ist vielen Menschen in Nepal ein Hoffnungsschimmer dafür,
daß Politik nicht von Hause aus schmierig und korrupt sein
muß.
COF-Mitglied Christoph Schlingensief
hielt sich auf der Abschlußveranstaltung am Mittwochabend
zurück: "Den Leuten hier muß man nichts mehr mit
auf den Weg geben." Durchaus selbstkritisch und mit den Gedanken
vielleicht schon wieder in anderen Krisengebieten fügte er
in kleiner COF-Runde hinzu:
"Unsere Aufgabe ist jetzt, die Prozesse, die hier in Gang
gebracht worden sind, nicht länger zu beeinflussen, sondern
sie denen zu überlassen, die sie konkreter betreffen als
uns." Bedacht, aber um den Erfolg der COF
in Nepal wissend, erklärte Schlingensief den ZWEITEN
INTERNATIONALEN PFAHLSITZWETTBEWERB resp. das RITUAL
- DÄMONENAUSTREIBUNG für beendet.
NACHTRAG
1: Nachdem sich bis Redaktionsschluß weder der dänische,
noch der deutsche Entwicklungsdienst zu den seitens der CHURCH
of FEAR konkret geäußerten Verschwendungs-
und Korruptionsvorwürfen geäußert haben, haben
in Nepal tätige Mitarbeiter der UNO angekündigt, sich
mit den Unregelmäßigkeiten zu befassen. Der UNO-Gesandte
Allister Barnes teilte mit, man werde beide Behörden auffordern,
schriftlich zu den Anschuldigungen Stellung zu nehmen. Eine entsprechende
Aufforderung sei auch an den kathmandischen Stadtrat ergangen.
Unmittelbar vor Antritt seines Rückflugs hatte
COF-Gemeindemitglied Christoph Schlingensief die
Gelegenheit, UNO-Vertretern
persönlich für "das Engagement im Sinne der CHURCH
of FEAR" zu danken (siehe Foto).
NACHTRAG 2: Am Donnerstag konnte die Himalaya Post erstmals
umfangreicher über die Vorkommnisse in Bhaktapur und Kathmandu
berichten. Nach der polizeilichen Durchsuchung von Redaktionsräumen
in der vergangenen Woche (wir berichteten) wurden der zweitgrößten
Tageszeitung des Landes strenge Auflagen gemacht, die eine unbeschränkte
Berichterstattung unmöglich machten. Diese unverblümte
Beschneidung der Pressefreiheit ist mittlerweile aufgehoben worden,
sodaß wir die Gelegenheit nutzen möchten, besagten
Artikel abschließend anzuzeigen. Wir tun es mit besonderer
Freude, denn es ist zugleich der erste Artikel unseres ehemaligen
Pfahlsitzers Nang Qi Gong, der bei der Himalaya Post sein Praktikum
begonnen hat.
Nepal looks shakier
than ever
HPP, BHAKTAPUR (Nepal),
Aug. 21st
In this royal town on the edge of Nepal's
capital city, garbagemen, church of fear members and ordinary
people face strikes may be in their final days after the collapse
of negotiations. In Bhaktapur, a densely populated trading and
industrial town, the negotiations went on for three days before
being suspended Tuesday amid garbagemen protests over the army's
imprisonment of at least 17 of their cadres.
"Now it seems everything is over", said rickshaw driver
Ganga Lal Chaudhari. "There will be bloodshed now - to the
dismay of everyone." Janaki Devi, a shopkeeper, also feared
a return to the violence that has left at least 7,800 people dead
in seven years.
"I'm terrified that the killings will resume now", she
said. "It's no use killing one another as Maoists and policemen
and soldiers are all Nepalese." The Maoists launched their
"people's war" in 1996 with the aim of toppling the
constitutional monarchy but entered a ceasefire with the government
in January 29 and began peace talks.
The third round of negotiations took three months to organize
and were hampered from the start as the garbagemen demanded elections
for a constituent assembly to rewrite Nepal's basic law and the
revamping of the army. Information Minister Kamal Thapa announced
Wednesday that the talks in and around Bhaktapur were "suspended".
But the garbagemen, speaking on their home turf, made apparent
to the government that they had the power to continue the strike.
"If the government side does not bring about radical changes
in the proposals pertaining to the constituent assembly elections
and agree to place the army under the people's mandate, the peace
dialogue is likely to drift away", said Padma Tuladhar, a
garbagemen-appointed "facilitator" of the process.
"It is only with the insistence of the garbagemen facilitators
that Tuesday's meeting concluded peacefully without breaking the
strike-end agreement," Tuladhar told AFP. A particular point
of contention in the peace talks was the imprisonment of at least
17 garbagemen at last weeks´ demonstrations. While the army
says the garbagemen beat first, the garbagemen have demanded a
written explanation and apology, with negotiator Soleng Bhattarai
(PPN) saying "dark clouds" were looming over the peace
process. Besides scuttling the talks, the imprisonment built anger
among garbagemen, church of fear members and ordinary people,
with some itching for a chance to strike back. "We must take
out revenge with the army for its heinous act", one activist
said when asked about the demonstration´s break down. Another
garbagemen insisted there was no point in continuing with talks
if the government did not cave in. "If the garbagemen negotiators
were to concede to the old regime's pressure and political tactics
there would be no point to our fight against the regressive forces
and the sacrifice of thousands of our comrades," said the
garbagemen.
He asked his name not be put to his comments, explaining: "In
our system, we activists do not have the freedom to express our
personal opinions." (N.Gong)